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Arnold Vogt
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 Schulen und Museen. 
 Entstehung und Perspektiven ihrer Zusammenarbeit
 aus museologischer Sicht
 in: Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V.,
 Hg.: Sächsischer Museumsbund e.V., Dresden,
 Nr. 19, Dresden, Dez. 1999, ISSN 0949-393X
 S. 51 - 76
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Schulen und Museen. 
Entstehung und Perspektiven ihrer Zusammenarbeit aus museologischer Sicht 1

von Arnold Vogt, Leipzig

1. Einführung: Gegen-, Neben- oder Miteinander ?

Wer die Zusammenarbeit von Museen und Schulen heute betrachtet, trifft auf eine zwiespältige und fragwürdige Situation in mehrfacher Hinsicht: Einerseits können Museen und Schulen auf eine Partnerschaft zurückblicken seit mehr als einem Jahrhundert. In der Museumspraxis sowie auch nach Maßgabe des Schrifttums2 bilden sie sogar "die dominante Kooperationsform"3 überhaupt. Auch unter veränderten Rahmenbedingungen, der kommunalen freien Kulturpflege und des kommunalen Marketings haben Museen und deren schulrelevanten Bildungsangebote eine neue signifikante Bedeutung erlangt als sogenannte "weiche Standortfaktoren", als Anziehungspunkte für den Tourismus und nicht zuletzt für das kulturelle Angebot vor Ort. Dabei gewinnen Schulen als Partner der Museen noch besonderes Gewicht.4 Schülergruppen haben den mit Abstand größten Anteil an der Besucherzahl.5 - So erfreulich diese Entwicklung mancherorts sein mag, so erstaunlich ist andererseits der Fakt, daß die Initiative für die Zusammenarbeit doch überwiegend einseitig von den Museen ausgeht. Weder die offizielle Lehrerausbildung noch Lehrmaterialien beachten das museale Bildungspotential hinreichend - den zahlreichen historischen wie aktuellen schulrelevanten Museumsschriften und Unterrichtsmodellen zum Trotz.6

Bemerkenswert ist die jüngere Professionalisierungsdebatte, die seit den 70er-Jahren über Museen und Schulen geführt werden. Dabei wurden beide Seiten verstärkt voneinander unterschieden. Dies gilt vor allem dann, wenn die Begegnung mit dem authentischen Objekt, die Museumsspezifik und strukturelle Unterschiede hervorgehoben werden, wenn Kinder oder Jugendliche in Freizeitgruppen das Museum "freiwillig" besuchen (und nicht als Schüler unter Schulpflicht, Lernzielen, Leistungsdruck etc.).7 Konsequenterweise erfuhren Museen eine scharfe Abgrenzung von schulischer Nutzung, weil es "...dafür weder erforderlich noch üblich (ist), daß sich die besuchten Institutionen selbst als Orte der Erziehung und des Lernens definieren".8 Tatsächlich wurden elementare Museumsbereiche aber generell - Ausstellungen, Ausstellungs- / Museumsdidaktik, Öffentlichkeitsarbeit, Schul- und Museumspädagogik - bis in die jüngste Zeit wenig differenziert.9 Aus diesem Grund schien eine museums- bzw. wissenschaftstheoretische Profilierung unumgänglich. Dabei empfahl sich die museologische Diskussion, um die Spezifik des musealen Forschungs-, Erkenntnis-, Lern- oder Bildungsortes zu erschließen und deutlich hervorzuheben.10 Wer aber nach der Museumsspezifik und den besonderen Anforderungen professioneller Museumsarbeit fragte, konnte Antworten nur in (über)scharfer Abgrenzung von einer Wissenschafts- und Berufspraxis gewinnen, in der Museen offenbar nur als "verlängerter Arm" anderer Interessen, von herkömmlicher Fachwissenschaft, Schulpädagogik, Architektur etc. mißverstanden, teils auch mißbraucht wurden. Die Bemühungen für eine Profilierung der Museumsspezifik führten schließlich zu Grundsatzdebatten in Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik, in Museen und Verbänden: In der Folge gibt es kaum eine Meinung, der nicht eine beachtliche Gegenposition zur Seite steht, so in der Abgrenzung11 von Schulen und Museen gegeneinander bzw. in der Auffassung weitgehender Übereinstimmung.12

Leitgedanke der folgenden Darstellung ist die museologische Auffassung, die Museumspädagogik in einem zweifelsfrei musealen Kontext ansiedelt: Stets geht es um die Vermittlung von Sammlungsinhalten in Museen oder in derem Umfeld. In der Folge bedarf eine vergleichende Betrachtung von Schulen und Museen sicherlich präziser Vergleichspunkte und kompatibler Kategorien. Dabei sind historische Entwicklungslinien von Museen und Schulen sowie ihrer Beziehungen besonders aufschlußreich. Auf Grund der jahrelangen Debatten liegt es nahe, die wechselnden Argumente mit ausführlichen Anmerkungen auszuweisen, die einschlägige Fachdiskussion und -literatur auch in Teilaspekten darzulegen.

2. Die Anfänge musealer Lehre und Forschung 
und die neue Bedeutung der Museen als Bildungsstätten der Nation
(Schlagworte)
Museum als Ehrfurcht gebietende Schule
Bildung als geistiger Besitz
Anfänge des modernen Museums im Zuge der Französischen Revolution

3. Volksbildung, neue Wissenschaftsdisziplinen und persönliche Initiativen von Lehrern
Lehrer als Museumsgründer
Emil Adolf Roßmäßler
Beispiel: Entstehungsgeschichte des "Naturkundlichen Heimatmuseums zu Leipzig"
Reformpädagogische Maßnahmen des Leipziger Lehrervereins
Kunsterziehungsbewegung
Alfred Lichtwark
Museen als Volksbildungsstätten
Georg Kerschensteiner
Museen als Bildungs- und Erziehungsinstitute
Museen als Stätten des Selbstunterrichts und des freien Bildungserwerbs

4. Preußische Initiativen für Schulen und Museen
Experimentelle Museumspädagogik
Museumspädagogik im NS-Staat
Adolf Reichwein

5. Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg bis zur Bildungsreform der 60er und 70er Jahre
Maßnahmen der Alliierten zur Beseitigung von Museen militaristischen und nationalsozialistischen Charakters
Neubeginn in der deutschen Museumspädagogik in den 60er Jahren
Aufbau der Museumspädagogik vorwiegend durch Lehrer
Ausstellungen der Museen selbst sind der Bildungsauftrag.
Neue Impulse in den 20er Jahren
"Lernort contra Musentempel"

6. Neuorientierung und Professionalisierung seit den 80er Jahren
Museen als offener Lernort
Zielgruppendifferenzierte Angebote über die Schulorientierung hinaus
Museumspädagogik schulischer Fremdkörper in der Museumswelt?
Museen gehören zu den wichtigsten sekundären Orten des Lernens.
Schulmuseumsboom -neues Interesse an Schulen
Vor- und Nachteile des Vermittlungsbegriffes
Pädagogik, Vermittlung oder Kommunikation?
Freiwillige, informelle Bildung im Museum
Schulpädagogik contra
Museumspädagogik?
Dienstleistungsbetrieb Museum
Besucherservice statt 68er Träume

7. Zusammenfassung - Museum: "Lernort" mit Zukunftschance

Im Überblick erscheint die Museumspädagogik als ein Begriff der Praxis. Er bezeichnet ein Berufsfeld, das ein buntscheckiges Spektrum umfaßt von Initiativen, Aktivitäten, (institutionellen) Vorstellungen, Kooperationen und Erwartungen der Museen und Partner - einschließlich verschiedenartiger Nutzungskonzepte von Schulen und anderen Institutionen, von Publikum und Öffentlichkeit schlechthin. Je nach wechselndem Nutzer-Publikum bilden Wandel, Veränderung und Auseinandersetzung aber inhärente Prinzipien der Museumspädagogik. Theoretische Voraussetzungen werden nicht selten in Museums- und Ausstellungsdidaktik diskutiert. Dabei spiegeln sich die gleichen Schwierigkeiten, die die Praxis der Museumsarbeit auch generell beeinträchtigen: terminologische Unklarheiten, divergierende Vorstellungen und Erwartungen in Öffentlichkeit und Politik, in Museen und Verbänden.97

Museumspädagogik heute beruht auf dem Neubeginn der 60er Jahre einerseits mit völlig neuen ahistorischen Inhalten, andererseits auch unter Anknüpfung an frühere Bildungstraditionen. Dazu gehörten lokale Traditionen einzelner Museen und deren Vermittlungskonzepte, darunter besonders die Zusammenarbeit mit Schulen, (demokratische) Volksbildung und reformpädagogische Initiativen, ebenso der Einfluß einzelner Pädagogen (Emil Adolf Rossmässler, Alfred Lichtwark, Georg Kerschensteiner oder Adolf Reichwein u.a.). So gesehen, fußt die neue "Museumspädagogik" seit den 60er Jahren auf alten Entwicklungslinien musealer Bildung, die über die verbandsoffizielle Ersterwähnung des Jahres 1934 weit hinausweisen. In jahrzehntelangen Kontroversen wurde über Inhalt und Selbstverständnis der Museumspädagogik gerungen, nach Leitbegriffen und Ersatzbezeichnungen (anstelle "Museumspädagogik") gesucht. Es wurden unterschiedliche Akzente gesetzt, die reflexiv-wissenschaftlichen und forschenden, "vermittelnden", "erzieherischen" bzw. "bildenden" Teilaspekte abwechselnd mal stärker oder schwächer gewichtet und bewertet. Doch in der Praxis, in einschlägigen Stellenausschreibungen, aktuellen Stellungnahmen, in Verbandsgründungen, Forschung (Dissertationen) und aktueller Literatur behauptete sich die "Museumspädagogik".98 Dabei erwiesen sich Schulen als beständiger und - nach Ausweis der Besucherzahlen - auch dominanter Partner. Ungeachtet der Unterschiede zwischen Schulen und Museen verwies die museumshistorische Entwicklung auf eine Fülle beachtlicher Gemeinsamkeiten:
• Wesentliche Impulse, die in der historischen Museumsentwicklung von Schulen, Lehrern bzw. Schulpädagogen ausgingen.
• Lehrer, die Museen resp. betroffene Fach- und Museumsvereine gründeten und / oder weiterentwickelten ( - bis zur Gegenwart !).
• Pädagogen, die museale Bildungskonzepte bestimmt haben und deren Einfluß bis heute fortwirkt. (Dies gilt nicht zuletzt für den Neuaufbau der Museumspädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg.)
• Schulrelevante museale Angebote und Nutzungskonzepte, die von Schulen, Museen und anderen Institutionen, insbesondere den großen museumspädagogischen Zentren, gemeinsam erarbeitet worden sind.

Neben der historisch gewachsenen Praxis, der Zusammenarbeit von Museen, Kultus- und Schulbehörden, der gemeinsam erarbeiteten und in der Praxis bewährten Nutzungskonzepte von Schulen und Museen bestehen offenbar Differenzen. Bemerkenswert ist die Zurückhaltung in aktuellen Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien gegenüber dem Museum als außerschulischem Lernort, ferner die Skepsis an Museen gegen den "traditionellen" Schulunterricht. So werden elementare Begriffe der Museumsarbeit bis zur Gegenwart in der einschlägigen Fachdiskussion gegensätzlich bzw. widersprüchlich bestimmt, so vor allem in Museums- und Ausstellungspädagogik und -didaktik. Ist "Didaktik" ausschließlich als schulspezifische Disziplin99 einzugrenzen bzw. zu verwerfen oder aber im übergreifenden Sinn der "Ermöglichung von Kommunikationsprozessen im Museum... "100 schlechthin zu verstehen - einschließlich des Bildungs- und Erziehungsgeschehens in Museen? Deutlich schrieb dazu Kenneth Hudson: "Ein Museum, das für intelektuell und emotional freie Menschen in jedem Alter sorgt, ist auf dem Weg, ein gutes Museum zu werden ... In gewissem Sinn sind alle Museen natürlich didaktisch, sie bieten Möglichkeiten zu lernen... Ich kann mir kein Museum vorstellen, in dem man nichts lernt... Ein großer Teil des Lernens, oft auch das sogenannte 'Wertvolle', ist jedoch zufällig, ungeplant. Es geschieht als Reaktion auf Menschen, Ereignisse, Objekte oder Phänomene. Ein Museum, das eine fördernde, stimulierende Lernatmosphäre bietet, ist ein gutes Museum ... Museumsbesucher sind aber keine Schüler. Sie sind freie Menschen, sie können wählen, ob sie in ein Museum gehen oder nicht; und sie ... bleiben selbstverantwortlich".101 Weitere Beispiele bzw. Fragen ließen sich hinzufügen. So entzündeten sich Kontroversen über die Beurteilung und Gewichtung (traditionell !) schulischen Lernens im Museum.

Beratungsbedarf besteht offenbar über die Chancen modernen außer- / schulischen Lernens hin zu mehr Transparenz und Offenheit, vor allem zu vermehrtem interdisziplinärem Dialog hinsichtlich schulischer Nutzungskonzepte, von Museumsdidaktik bzw. -pädagogik, von Lern-, Erlebnis- und Bildungsbegriff. Außer Zweifel erscheint die Chance informellen, "offenen Lernens" (Borries, Hochreiter, Rohmeder, Treinen, Weschenfelder, Zacharias u.a.). Sogesehen hat der "Lernort Museum" doch eine Zukunftschance? Dazu sind Fachdidaktiker/innen, Fachverbände und Behörden, Schulen und Museen gefordert.

Aus museologischer Sicht kommt es wesentlich darauf an, die Chancen verantwortungs- und sammlungsbewußter, musealer Leistungsangebote für die Öffentlichkeit, auch für Schulen, selbstbewußt zu entfalten, die Möglichkeiten professioneller Vernetzung mit anderen Partner-Institutionen, einschließlich der Schulen, zu nutzen, ohne die Museumsspezifik zu vernachlässigen. Daß dies gelingt, daß dazu günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, erfordert den interdisziplinären und auch interinstitutionellen Dialog, zu dem quellenkundliche bzw. quellenfachliche Grundlagen gehören, doch ebenso die besucher- und nutzerbezogene Vernetzung mit Verwaltung, Forschung, Schulen und anderen Institutionen, Publikum und Öffentlichkeit. Konsequenterweise ist eine Museumspädagogik zu wünschen, die - innerhalb des Museums - keinen Sonderfall bildet, sondern sich auch mit ihren schulrelevanten Leistungsangeboten als integraler Bestandteil der Museumsarbeit erweist. Dazu sollen:
1) die aktuellen Chancen der Zusammenarbeit von Schulen und Museen zu beiderseitigem Vorteil aufgezeigt, verstärkt,
2) die moderne museologische, museumspädagogische und die aktuelle schuldidaktische Diskussion mit zukunftsweisenden Perspektiven weiterentwickelt und
3) praxisnahe, konzeptionelle und organisatorische Hilfestellungen erarbeitet werden.102

102 Anmerkungen
 
 
 

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